Wenn die Schwertklingen geräuschvoll aufeinanderschlagen, das Kettenhemd bei jedem Schritt klirrt, das würzige Essen im schmiedeeisernen Topf auf dem Feuer
köchelt und das Bier in schweren Keramikkrügen schäumt, dann sind Harald Lehmann und Ulrich Brons Zuhause. Seitdem sie vor vielen Jahren mit der Schwertleite zum Ritter geschlagen wurden, sind sie als Graf Friedrich von Saarwerden und Gerlach de Linne Teil der Linner Ritterrunde. Mit der Linner Burg in unserer Stadt, die mit ihrer mehr als 800-jährigen Geschichte Touristen aus der ganzen Welt anzieht, und dem Flachsmarkt als einem der ältesten und größten Handwerkermärkte Deutschlands, ist es schon fast ein Muss, dass das CREVELT Magazin in seiner monatlichen Reihe einmal die Frage stellt: „Wie wird man (heute) eigentlich…Ritter?“
Ulrich Brons hat einen Weg gewählt, den schon Tausende junge Männer vor ihm gegangen sind – allerdings im Mittelalter. In Linn groß geworden, wurde er mit 16 Jahren Knappe eines Ritters. „Im Umkreis des Linner Schützenvereins gab es damals einige Männer, die zur Bereicherung des Schützenfests eine neue Gruppe aufmachen wollten“, erinnert er sich. „Bis dato hatten wir noch keine Ritterrunde in Linn, und sie entschlossen, eine zu gründen.“ Und da zu jedem Ritter auch ein Knappe gehört, wurde der 16-Jährige kurzfristig rekrutiert.
Rund zwei Jahre trug er seinem Meister Schwert, Schild und Rüstung hinterher und kümmerte sich mit frischem Bier und allem, was ein Ritter eben so braucht, um sein Wohlbefinden. „Die Knappen und Pagen werden auch heute noch ganz schön durch die Gegend gescheucht“, sagt Harald Lehmann und lacht. „Da folgen wir den Traditionen des Mittelalters.“ Während seiner Zeit als Knappe lernte Brons auch das Reiten. Reiten zu können, ist eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür, ein Ritter zu werden. „Noch wichtiger ist lediglich der ritterliche Charakter“, schildert Brons. „Ein Ritter behandelt Frauen gut, er ist zuverlässig, gnädig und hilfsbereit.“ Ritter in der Linner Ritterrunde wird nur derjenige, der diese ritterlichen Eigenschaften mitbringt. Die Runde jedenfalls hatte Brons‘ ehrenwerte Absichten erkannt, sodass er in einer feierlichen Zeremonie im Innenhof der Linner Burg gemeinsam mit anderen jungen Reitern vor großem Publikum durch Auflegen des Schwertes und dem Bekenntnis zu den Linner Ritterregeln zum Ritter geschlagen wurde. Anschließend gab es von jedem Mitglied der Runde einen kräftigen Schlag aufs Kreuz. „Das ist auch heute noch ein unvergesslicher Moment“, erinnert er sich. Damals, vor fast 40 Jahren, war Ulrich Brons 18 Jahre alt.
Harald Lehmann wählte hingegen einen anderen Weg. Als begeisterter Hobbyreiter traf er 1990 bei seinem ersten Besuch auf dem Krefelder Flachsmarkt auf das Lager der besonderen Runde. Schon immer interessierte sich der hauptberufliche Ingenieur für das Mittelalter. Er schaute sich Dokumentationen im Fernsehen an, spielte am Computer entsprechende Mittelalterspiele und begeisterte sich für die Geschichte der Ritter. Als er erzählte, dass er gut reiten könne, kamen die Männer zusammen: „Die Ritterrunde suchte damals Nachwuchs und ich hospitierte zwei Jahre“, erklärt er. „Das ist auch heute noch das übliche Vorgehen, weil uns wichtig ist, dass wir uns füreinander entscheiden und zueinander passen.“ Nach zwei Jahren wurde auch Lehmann in einer Zeremonie zum Ritter geschlagen.
Mit diesem Ritterschlag nahmen beide Männer auch eine zweite Identität an. Wer Ritter wird, schlüpft in die Rolle eines wahrhaftigen, historischen Vorbilds. Die Männer gehen vorab auf Recherche und entscheiden sich anschließend für eine Biografie, die zu ihnen passt. So wurde aus Ulrich Brons Gerlach de Linne. De Linne war im 12. Jahrhundert Burgherr und lebte, ähnlich wie Brons, sein gesamtes Leben in dem kleinen Dorf. Harald Lehmann entschied sich für Graf Friedrich von Saarwerden, der von 1370 bis 1414 Erzbischof des Erzbistums Köln war und immer wieder mit der Kirche in Konflikt geriet. Für 20.000 Goldschilde wurde Linn damals an ihn verkauft. Präsentiert sich die Linner Ritterrunde, tragen Brons und Lehmann die Wappen der alten Ritter. Lehmanns Gewand zeigt den doppelköpfigen Adler, Brons‘ Wappen den Linner Burgturm und einen Schlüssel. Viele der Gewänder sind selbst hergestellt, dabei wurden die Ritter tatkräftig von den Edel- und Gesinde-Damen unterstützt. „Heute gehören zu uns ja nicht nur Ritter, sondern auch Edeldamen, Jäger, Schmiede, eine Wachgruppe, Filzmacher und der Herold“, beschreiben die Männer. Liebevoll nennen sie diese „das restliche Gesinde“.
Steht der Flachsmarkt an, werden die Biografien der Ritter mit in die Aufführungen der Ritterrunde eingebunden. Vor der wunderschönen Kulisse der Burg Linn führt die heute 80-köpfige Ritterrunde eine Art Schauspiel auf. Die fünf verbliebenen Ritter haben dabei besondere Rollen. „Beim letzten Flachsmarkt zum Beispiel haben wir nachgespielt, wie eine Edeldame beschuldigt wurde, einen anderen Mann beglückt zu haben“, erklärt Lehmann mit einem frechen Grinsen. „Ich habe natürlich als ehemaliger Erzbischof die Dame beschuldigt. Das gehört dann zu meiner Rolle dazu.“ Während der Vorführung, aber auch im Lager, lebt die Ritterrunde das Mittelalter mit einem Augenzwinkern. Da kann es mal sein, dass die Küchendame mit einem großen Kochlöffel hinter den Rittern her rennt und sie beschuldigt, Essen gemopst zu haben. Da fallen lachend Beschimpfungen wie „Ich speie dir ins Gesicht, du elendiger Gossenkriecher“. Und da tauschen die Männer ihre Vornamen gegen ihre Rollennamen ein. „Wir zeigen das Mittelalter, genießen aber auch die Vorzüge des 21. Jahrhunderts“, schildert Lehmann schmunzelnd. „Wir haben zum Beispiel eine Zapfanlage dabei oder im Winter auch eine Heizung.“
Ist das Schauspiel auf dem Flachsmarkt wie eine Choreografie einstudiert und jeder Schwerthieb abgesprochen, lassen die Mittelalterfans im Lager und auch beim großen Turnier einfach geschehen. „Hier treten wir wirklich gegeneinander an“, beschreibt Brons. Dafür wird das ganze Jahr über als Ritter geübt. Auf dem Reiterhof Ressing in Hünxe trainieren die Männer zum Beispiel das Ringreiten, werfen im Galopp Äxte auf Scheiben oder ahmen das Rolandreiten nach, bei dem eine menschenähnliche Holzfigur getroffen werden muss. „Auch das gehört dazu, wenn man ein Ritter ist“, beschreiben die Männer. „Wer nur bei einem Wettbewerb mitmachen, aber nicht trainieren möchte, ist bei uns nicht richtig.“ Lebte Lehmann beispielsweise in den letzten 30 Jahren an unterschiedlichen Orten in ganz Deutschland, nahm er auch für die Übungen teilweise lange Kilometerstrecken auf sich. „Das ist ein Beispiel für die ritterliche Zuverlässigkeit“, sagt der 63-Jährige schmunzelnd.
Für Brons und Lehmann ist das Rittersein inzwischen zur Leidenschaft geworden, sie verfolgen damit aber auch einen Bildungsauftrag. Nicht nur auf Festivals wie dem Flachsmarkt zeigen sie lebendige Geschichte, sondern sie besuchen in ihren Rollen als Gerlach de Linne und Graf Friedrich von Saarwerden immer wieder auch Schulen, um dort vom Mittelalter zu erzählen. Besteht die Linner Ritterrunde mit „all dem übrigen Gesinde“ inzwischen aus rund 80 Leuten, sind nur noch fünf aktive Ritter geblieben, weshalb Brons, Lehmann und die anderen Ritter auf dringender Nachwuchssuche sind. „Auch hier möchten wir wieder auf die zwei wichtigsten Voraussetzungen verweisen“, erklärt Brons. „Wer etwas reiten kann und einen ritterlichen Charakter mitbringt, kann auch heute noch Ritter werden.“ Zumindest letztere Eigenschaft wünscht man sich als Einstellungsvoraussetzung für manch anderen Beruf …